Die Kunstsammlung der Cornèr Bank

Mosè Bianchi kam 1840 als Sohn eines Porträtmalers zur Welt. Seine Ausbildung erhielt er an der Kunstakademie Brera in Mailand. Er unterbrach sein Studium 1859, um als Freiwilliger bei den Alpenjägern am Unabhängigkeitskrieg von Giuseppe Garibaldi teilzunehmen. Im Jahr 1862 eröffnete er zusammen mit dem Tessiner Maler Ernesto Fontana ein Atelier und nahm an der Jahresausstellung der Brera mit einem Bild teil, das ein historisches Sujet darstellte. Die regelmässige Teilnahme an den Ausstellungen der Braidensischen Nationalbibliothek brachte ihm viel Anerkennung ein. In dieser Zeit setzte er sich in seinen Werken mit romantischen und literarischen Themen auseinander und entwickelte für dieses Genre eine wahre Leidenschaft. Über den Pariser Kunsthändler Adolphe Goupil fasste er in internationalen Ausstellungskreisen Fuss. 1874 erhielt er in Mailand mit einem Porträt den renommierten Preis Premio Principe Umberto, ein Erfolg, den er 1894 mit einem historischen Genrebild und 1900 mit der Ansicht einer Bauernstube wiederholen konnte.

Während eines kurzen Aufenthalts (1898 und 1899) in Verona bannte er die Impressionen einer lebhaften städtischen Szene auf die Leinwand. Die dünne Schicht der hellen Ölfarbe lässt die darunter liegende Linienführung der fliessenden Zeichnung bewusst durchscheinen. Die nuancierte Farbpalette nimmt die letzten Arbeiten des Künstlers vorweg, in denen – wie im vorliegenden Werk aus der Sammlung – sein Interesse am strukturierten Raum zu erkennen ist, in dem der architektonische Hintergrund eine wichtige Rolle spielt.

Angelo Morbelli ging 1867 an die Kunstakademie Brera in Mailand, wo er die regulären Kurse für figürliches und perspektivisches Zeichnen, Landschaftsmalerei, Aktzeichnen und Malerei besuchte und bereits frühe Anerkennung erfuhr. 1874 nahm er zum ersten Mal an der Jahresausstellung der Brera teil. Nach seiner Kunstausbildung interessierte er sich für Sujets, die sich am täglichen Leben inspirieren und die das gesellschaftlichen Interesse an Authentizität mit malerischen Experimenten reflektieren. Gleichzeitig entwickelte er ein Interesse für die Landschaftsmalerei. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wuchs die Anerkennung für seine Bilder anlässlich in- und ausländischer Ausstellungen. Mit den ersten Werken, die er mit der Farbtechnik des Divisionismus ausgeführt hatte, nahm er 1891 an der Triennale in Mailand teil. In den ersten Monaten des Jahres 1901 widmete er sich erneut Szenen des Hospiz Pio Albergo Trivulzio und malte sechs Bilder, die zusammen den Zyklus Il poema della vecchiaia (Das Epos des Alters) bilden und 1903 an der Biennale von Venedig ausgestellt wurden.

Das Bild in der Sammlung gehört zu diesem Zyklus. Nach der Ausstellung 1903 in Venedig verliess das Bild Europa und landete in Uruguay. Im Jahr 2018 tauchte es wieder auf und wurde dank des Ankaufs durch die Cornèr Bank der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In Zusammenarbeit mit den Musei Civici in Venedig wurde in der Ca’ Pesaro eine Ausstellung organisiert, in deren Rahmen der gesamte Zyklus gezeigt wurde.

Die divisionistische Technik von Angelo Morbelli zeichnet sich durch drei Grundelemente aus: die Qualität der Pigmente, das Auftragen der reinen Farben als subtile Linien und die sparsame Verwendung von Öl. Vor dem Fenster im Bild Vecchie Calzette überlagert die Farbe Gelb mal das Dunkel-, mal das Hellblau, jedoch stets den Farbton Weiss, und das Rot der Pflanzen über der Einfriedungsmauer überlagert das Grünblau, stets in Form dünner Streifen oder Linien. In den Schals oder schwarzen Kopftüchern leuchten hier und da Grün und Rosarot sowie die Farbe Orange auf.

Feragutti Visconti gehörte zu den bekanntesten Tessiner Künstlern des 18./19. Jahrhunderts. Seine Ausbildung erhielt er an der Kunstakademie Brera in Mailand, gefolgt von weiteren Studien in Florenz. Er liess sich endgültig in Mailand nieder und nahm an verschiedenen nationalen Ausstellungen teil, so 1877 in Neapel, 1880 in Turin und 1881 in Mailand. 1891 gewann er mit einem Porträt die Auszeichnung Premio Principe Umberto an der ersten Mailänder Triennale und nahm an der Schweizer Ausstellung der Schönen Künste in Lugano teil. Als nunmehr anerkannter Porträtist und Maler von Stillleben nahm er ab 1890 auch an den wichtigsten internationalen Ausstellungen teil. Von 1907 bis 1908 hielt er sich in Südamerika auf und bereiste Patagonien, wo er sich der Landschaftsmalerei widmete.

Das Gemälde der Sammlung entstand unmittelbar vor dem Aufenthalt des Künstlers in Patagonien. Das Sujet stellt Bauernkinder dar und zeichnet sich unter anderem durch den veristischen Ansatz aus – Kinder, die vom vergänglichen Licht der Zauberlaterne fasziniert sind –, den der Maler in dieser Szene mit einer freien Pinselführung virtuos umsetzt. Im Mittelpunkt der Komposition steht das Gesicht des kleinen Bauernmädchens, auf dem sich das Licht der Zauberlaterne und die in der Laterne gefangenen farbigen Schatten widerspiegeln. Mit wenigen gekonnten Farbtupfern gelingt es dem Künstler, dem Bild Volumen zu verleihen und den Betrachter zu berühren.

Das Künstlerleben von Emilio Longoni war beispielhaft. Er gehörte zu den bedeutendsten Malern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und insbesondere des Divisionismus. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang prägte er die Geschichte der figurativen Kultur Italiens mit. Nach der ersten Ausstellung an der Brera 1878 setzte sich der Künstler mit dem Verismus auseinander, der ihn zu einigen seiner Meisterwerke inspirierte. Um 1890 widmete er sich dem Divisionismus. Mit seinen Bildern erhielt er auch bedeutende internationale Auszeichnungen.

Scogliera ist eines der Bilder, in denen sich die Entwicklung der Berglandschaft von der realistischen Darstellung zum Symbol manifestiert. Diese Phase war allerdings kurz und führte zu der von Longoni angestrebten vollständigen Überblendung des dargestellten Objekts, die der Künstler bewusst verfolgte und schliesslich in den Gemälden der letzten fünfzehn Jahre seines Schaffens erreichte. Eine Fotografie aus jener Zeit dokumentiert eine aus der Höhenperspektive entstandene Studie für das Bild in der Sammlung. Dieser und vielleicht noch weiteren unter freiem Himmel entstandenen Studien entnimmt Longoni die Elemente der Natur, die letztlich das Werk durchdringen, das er dem Publikum präsentiert.

Im Bild Scogliera wird die dominierende chromatische Intensität der Blautöne gekonnt unterbrochen vom grossen Fels im Zentrum des Bildes, zwischen dem Wasserspiegel im Vorder- und der Bergkette im Hintergrund. Das kostbare Blau, gewonnen aus reinen Lapislazuli-Pigmenten, und die aus schmalen horizontalen Strichen bestehende Struktur reflektieren die chromatischen Abstufungen und Bewegungen von Gletscherwasser.

Filippo Carcano erhielt seine Ausbildung an der Kunstakademie Brera in Mailand, wo er mit Bildern historischen Inhalts an der Jahresausstellung teilnahm. Bereits im folgenden Jahr zeigte er Interesse an der Darstellung von Natur und Licht im Gegensatz zu den damals gängigen Darstellungen anekdotischer Art. Bereits Ende der Sechzigerjahre galt er als einer der vielversprechendsten Vertreter der «Mailänder Schule». 1873 war er Mitbegründer der Famiglia Artistica Milanese und stellte regelmässig in Mailand, Turin, Genua und Florenz aus, wobei er abwechselnd Bilder mit figürlichen Darstellungen und Genre-Sujets zeigte. Spätestens ab 1876 widmete er sich innovativen Studien über die Landschaft der Lombardei.

Mit dem Bild in der Sammlung nahm Carcano eines seiner Lieblingssujets wieder auf und malte nach einigen Jahren Abstand eine Neuinterpretation des Werks La quiete del lago (Die Stille des Sees), eines seiner ersten eindrücklichen Landschaftsbilder, die er 1878 an der Brera ausgestellt hatte. Im letzten Jahrzehnt des ausgehenden Jahrhunderts wurde seine Farbpalette heller. Carcano erging sich nun in einer virtuosen Farbgebung mit äusserst subtilen Blau-, Grau- und Weisstönen. Das Gemälde zeugt von seiner Beherrschung der massvollen Farbgebung und der Komposition. Es entwickelt sich horizontal in parallelen Streifen – vom weiten Raum des bewegten, leicht bewölkten Himmels über die Berge auf beiden Seiten und am Horizont bis zum ruhigen Gewässer mit dem Dampfschiff und dem winzigen Boot, die dem Bild zusätzliche Tiefe verleihen.

Eugenio Gignous kam als Sohn eines erfolgreichen Seidenhändlers zur Welt. Schon früh zeigte er Interesse für die Malerei, sodass ihm sein Vater den Besuch der Kunstakademie Brera erlaubte, wo er bis 1870 studierte und zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Der Umgang des jungen Malers mit der Künstlergruppe prägte ihn weit mehr als die akademische Ausbildung. Während längerer Aufenthalte in den ländlichen Gebieten der Lombardei und des Piemonts widmete er sich der experimentellen Landschaftsmalerei in freier Natur. In regelmässigen Abständen stellte er seine Bilder an den grossen nationalen und internationalen Ausstellungen aus. Gegen Ende der Sechzigerjahre pflegte er regen Kontakt zu Filippo Carcano, der ihn an den Lago Maggiore mitnahm. 1879 stellte er in Brera zum ersten Mal eine Ansicht des Sees aus.

Ab Mitte der Achtzigerjahre galt Eugenio Gignous als einer der Begründer der zeitgenössischen lombardischen Malerei. Seine unter freiem Himmel gemalten Bilder, die grosse Bedeutung des Lichts und die gefälligen Sujets, die er immer wieder malte, machten ihn zum «Maler des Sees». Seine späten Werke, die von einem reifen Schaffen zeugen, sind diesem Thema gewidmet – wie das Bild in der Sammlung – und geprägt von einer grosszügigen Pinselführung, zu erkennen in den meisterhaften Schattenflecken auf der weiss gekalkten Mauer und der gekonnten Verwendung von Farbe als Material. Der Künstler versäumte es auch nicht, durch die Hochspannungsleitungen am Himmel die Nähe des Bildes zur Realität zu unterstreichen.

Giovanni Sottocornola entstammte einer Arbeiterfamilie. Im Alter von 20 Jahren gelang es ihm, sich an der Kunstakademie Brera einzuschreiben. Dort begegnete er Emilio Longoni, Gaetano Previati, Attilio Pusterla und Giovanni Segantini, mit denen er eine neue, experimentierfreudige Künstlergeneration bildete. Diese übernahm eine Vorreiterrolle im lombardischen Naturalismus. 1882 stellte Sottocornola zum ersten Mal aus. Mit vier Gemälden, drei Porträts und einer Genre-Szene nahm er an der Jahresausstellung der Brera teil. Zur selben Zeit widmete er sich der freien Natur, dem Stillleben und häuslichen Szenen. In der Folge wurde Sottocornola gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der bedeutendsten Vertreter der lombardischen Malerei. Er trat insbesondere mit Stillleben, der Figuren- und der Landschaftsmalerei hervor – Genres, in denen er in den Neunzigerjahren mit einem raffinierten Divisionismus experimentierte, wobei ihm Themen des sozialen Engagements wichtig waren.

Ein bedeutendes Merkmal des Gemäldes in der Sammlung ist die offenkundige Vereinfachung der malerischen Technik, die sich vor allem im Farbauftrag und der weniger prägnanten Strichführung manifestiert. Im Jahr 1889 stellte Giovanni Sottocornola an der Jahresausstellung des Museums Permanente in Mailand das Bild Cesta d’uva (Korb mit Trauben) aus, und 1891 an der ersten Triennale der Brera das Bild Uva (Trauben; Privatsammlung), eine Fülle weisser und blauer Trauben und Blätter, eine grandiose, horizontal auf einem Tisch ausgebreitete Komposition, die exemplarisch ist für den Verismus. Ähnlich komponiert ist das Gemälde der Sammlung – wie auch ein Grossteil der Stillleben des Künstlers.

Seit seiner Adoleszenz widmete sich der junge Emilio Gola, Sohn des kultivierten Hobbymalers Graf Carlo Gola, der Malerei, schloss aber dennoch sein Ingenieurstudium am Polytechnikum in Mailand ab. Als eigenwilliger Maler absolvierte er seine künstlerische Ausbildung ausserhalb der akademischen Tradition und erhielt schon früh prestigeträchtige Auszeichnungen im Ausland. Der internationale Erfolg bestätigte sich im Jahr 1906 mit der Weltausstellung in Mailand auch in Italien.

1881 zeigte der Künstler dieses eindrückliche Bild mit Figur an der nationalen Kunstausstellung in Mailand. Die Farben unterstützen die Komposition bzw. die Zeichnung und sorgen für eine klar definierte «Form» mit virtuosen und zugleich verhaltenen Linien. Gola wählte auf innovative und moderne Art einen Ausschnitt seines Sujets, sozusagen ein Fragment des realen Lebens, als «fotografische Momentaufnahme». Der Maler verschärft die schrägen Linien im Vordergrund und richtet den Hauptblickpunkt zum oberen Rand des Gemäldes, in die Mitte, zur Spitze des Bootes hin.

Luigi Rossi gehörte zu den wichtigsten Vertretern der naturalistischen Malerei der Lombardei und des Tessins des 19. bzw. 20. Jahrhunderts. Er besuchte die Kunstakademie Brera in Mailand, wo seine Familie, aus Tradition liberal und demokratisch gesinnt, sich niederliess, als er noch ein Kind war. Nach der ersten Ausstellung in den Sechzigerjahren mit Genre-Bildern, die wegen der technischen Virtuosität und der subtilen Ironie der Themen beim Publikum gut ankamen, machte er sich in den folgenden zwanzig Jahren einen Namen als Maler des bäuerlichen Lebens und als Porträtist. Ein Aufenthalt in Frankreich festigte seinen Ruf als Illustrator und trug in den Neunzigerjahren unter dem Einfluss des Symbolismus zu helleren Farbtönen in seiner Malerei bei. Im Jahr 1924 widmeten ihm das Museum Permanente in Mailand und die Villa Ciani in Lugano eine postume Ausstellung.

Das Bild in der Sammlung ist ein Porträt von Elisa Perelli Viarana, der Ehefrau eines Freundes des Malers und in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eines seiner bevorzugten Modelle. Die anmutige und elegante weibliche Figur im leichten Kleid mit dem langen Haar, das von einer kostbaren, perlenbesetzten Spange zusammengehalten wird, ist im Profil zu sehen, gemeinsam mit ihrem Kind und der Amme. Das Gemälde wird von den leuchtenden Weisstönen und den Grüntönen des Hintergrunds dominiert, während das Rot der Schleife im Haar der Amme das Auge des Betrachters auf meisterliche Art auf den Hauptblickpunkt zieht.

Nach der Grundausbildung in Florenz und Neapel besuchte Maggi 1899 das Atelier Cormon in Paris. Ende Jahr kehrte er nach Italien zurück, um in Mailand die Gedenkausstellung für Giovanni Segantini zu besuchen. Er begegnete den Brüdern Grubicy, schloss Freundschaft mit den Kindern Segantinis und beschloss, sich im Engadin niederzulassen. In Bezug auf die Themen und die Technik des Divisionismus stand Maggi unter dem prägenden Einfluss Segantinis, sowohl hinsichtlich der Wahl seiner Sujets als auch bezüglich der Erforschung des Lichts. Ab 1904 lebte und arbeitete er in La Thuile im Aostatal: Bergansichten und Dörfer im Schatten des massiven Mont Blanc und des Matterhorns waren während der folgenden Jahrzehnte und auch, nachdem er den Divisionismus hinter sich gelassen hatte, die wichtigste Inspiration für seine Bilder.

Das mit 1909 datierte Werk in der Sammlung, das am Anfang der kurzen und rein divisionistischen Periode des Malers entstand, gehört zur eher kleinen Gruppe grossformatiger Gemälde, die er jeweils an den offiziellen Ausstellungen zeigen wollte. Dieser Kategorie von Werken grosser malerischer Qualität liegt die intensive Suche nach einer eigenen Ausdrucksweise zugrunde – mit dem Ziel, die von Segantini übernommene divisionistische Bildsprache weiterzuführen. Die kühne Originalität der Nacht – ohne die segantinische Darstellung des faszinierenden Alpenpanoramas im Hintergrund – zeugt von Maggis persönlicher Auseinandersetzung mit der divisionistischen Technik, die hier eine perfekte Farbtonverschmelzung mittels eines aufwändigen und dichten Geflechts von Pinselstrichen erreicht.